Hauptseite oben Gedichte meines Vaters Eigenes Aus meinem Leben Mathematik-Interesse

Berlin, 21.09.2006

Verkehrsunfall

Es geschah am 17. September 1958 in der Nähe einer kleinen Stadt im Nordschwarzwald. Ein Borgward prallte gegen einen LKW, 5 Tote und ein Schwerverletzter im PKW bildeten die traurige Bilanz dieses Zusammenstoßes.
Warum nicht? Die 9. Klasse (=Oberprima; Sexta=1.Klasse)wollte gegen die 8. Klasse Fußball spielen. Die Lehrer waren dagegen. Die Gründe sind nicht mitüberliefert. Aber der Spielplatz im "Breiten Tal" war frei zugänglich. Und so wurde gespielt. Obwohl Hans-Jörg M. in der 8. Klasse recht gut spielen konnte, ging seine Mannschaft hoffnungslos unter, mindestens 1:4, vermutlich noch viel höher. Die Oberprimaner waren als Mannschaft wesentlich besser. Man machte sich nach dem Spiel ohne besondere Feier auf den Heimweg. Nur wenige Spieler wohnten im Städtchen, mehr noch wohnten in den umliegenden Orten. Hans-Jörg S., der nicht nur bereits seinen Führerschein hatte, sondern auch das Familienauto fahren durfte, lud sein Auto voll, 5 Mitschüler, um sie nach Hause zu fahren. Laub war bereits gefallen und Nieselregen hatte die Fahrbahn glatt gemacht. Bedenken muss man, dass damals weder Kopfstützen noch Gurte bekannt waren. Nur ein Fahrgast wurde beim Unfall durch das aufgerissene Dach nach draußen geschleudert und überlebte schwer verletzt.
Im Gymnasium wurde eine Tafel mit den Namen der Opfer angebracht. Inwieweit die Umstände bekannt blieben, ist unklar. Nur Hans-Jörg S. liegt auf dem Friedhof des Städtchens begraben. Die ganze Schule, die Orte mit den Toten, waren schockiert und wie gelähmt. Die Männer schämten sich nicht der Tränen.
Und die Erinnerung? Die Armbanduhr von Hans-Jörg S., die im Augenblick des Aufpralls stehen geblieben war, erhielt einen Ehrenplatz. Bei den ersten Besuchen der Mutter kamen noch erfurchtsvolle Erinnerungen zutage, aber irgendwann wurde es klar: Weitere Besuche der Mutter waren unerwünscht.
Auch die Mutter starb inzwischen. Das Gedenken aber bleibt, jetzt nach 48 Jahren.

Berlin, 30.07.2006

Douadic und Le Loches
Franzosen sind hilfsbereit!

Richtig: Douadic und Le Loches sind kleinere Orte mitten in Frankreich. Bis auf ein paar Kilometer stimmt dieses "mitten" recht gut. Und natürlich gibt es auch unter Franzosen Stinkstiefel, aber hier möchte ich von skeptischen, aber hilfsbereiten Franzosen erzählen. Douadic
Dieses Duadic, falls es noch weitere gibt, liegt in La Brenne, so 100 km südöstlich von Tours, eben in dem Gebiet der 2000 Seen. Die Creuse ist nicht weit weg. Kurz von Douadic also rumpelte es deutlich, so dass meine anfängliche Deutung - die Asphalthitzeblasen zerplatzen, wenn wir mit dem Auto drüberfahren - nicht länger zu halten war. Meine Frau wusste es schon eine Weile vorher richtiger. Rechtzeitig war aber noch der Blick hinten unter den Wagen, der nicht gerade frisch aus der Fabrik kommt. Der Auspufftopf hing frei schwebend, nur noch von irgendwelchen Halterungen vorne am Abschmieren gehindert, dem Straßenbelag bedenklich nahe. Die hintere und die mittlere Aufhängung hatten sich verabschiedet. Reste der hinteren Halterung gab es noch, sodass ich den Auspufftopf (bald lernte ich: échappement) daran mit einem Draht (für die Unterhaltung gut: fil de cuivre) notdürftig befestigen konnte. Draht für eine normale Stromleitung und Wrkzeug zum Abisolieren hatte ich dabei - man kann ja nie wissen. Während ich mich auf der Straße mit dem noch sehr warmen Auspuff amüsierte kam ein tatkräftiger Franzose, sperrte mit seinem Wagen die Straße ab, legte sich neben mich, und zu zweit schaftten wir es schnell, unseren Wagen lauffähig bis zur nächsten Werkstatt zu machen. Danke!! Werkstatt: Wie heißt das auf französisch und vor allem: wo gibt es in dieser einsamen Gegend eine? Douadic, vielleicht 2 km entfernt, hatte eine 'garage'.
Ein Meister, so schien es, und ein Geselle arbeiteten bei 36 Grad im Ventilator- Wind. Genau: Mein Französisch weist größere Lücken auf, aber es gelang, den Meister zu einer Reparatur zu überreden, sofort und binnen 30 Minuten! Ein Eisenband wurde von Lack befreit, auf Länge gesägt, neu lackiert, an den richtigen Stellen durchbohrt und an der verbliebenen Halterung angeschweißt. Eine Kontermutter sicherte die Haltbarkeit der Verbindung. Als der Wagen nach einer dreiviertel Stund von der Hebebühne lief, sollte die ganze Reparatur 32,- EUR kosten!!! - Wie waren gerührt.

Le Loches
Diese Geschichte erzähle ich kürzer, obwohl sie länger dauerte. Deutsche Visakarten sind an französischen Tankstellen nicht in jedem Fall gerne gesehen. Die vom Freund überhaupt nicht. Aber der Weg von der Loire nach 'Hause' war, bezogen auf den Tankinhalt, weit, möglicherweise zu weit. Dass beim zweiten Visa-Test drei Personen im Regenguss nass wurden, war die Würze des Abends. Es gab nur eine Hilfe: Ein Franzose, der gerade mit Karte getankt hatte, musste überredet werden, für uns noch einmal auf seiner Karte zu tanken. Ein Familienvater auf Urlaubsfahrt war bei einer weiteren Tankstelle das bereitwillige Opfer. Natürlich war er sehr skeptisch bei diesen Deutschen mit dem schlechten Französisch. Aber er verstand, zückte seine Karte und wir konnten den Tank voll laufen lassen. Zum Glück war das Benzin hier relativ billig, so kamen unsere Freunde mit einem 10%igen Aufschlag für den Wohltäter noch leidlich günstig davon ...

Berlin, 08.06.2006

Nur eine Postkarte
Eine kleine Geschichte

Was ist schon eine Postkarte? Besonders, wenn sie aus dem Urlaub kommt und nach dem Muster "Das Wetter ist schön. Mir geht es gut. Gruß und Kuss dein Julius" gestrickt ist? Die Karte hatte aber einen Haken: Sie war gar nicht an uns gerichtet, sondern sollte - laut und deutlich - nach Österreich. Irrläufer heißen solche fehlgeleiteten Postsendungen. Eine Reaktion benötigt manchmal Zeit. So schien es ratsam, die Karte nicht einfach wieder in den Briefkasten zu stecken.

Also blieb sie erst einmal liegen, bis sie schließlich in einen Umschlag wanderte, mit derselben Adresse versehen - diese vielleicht ein wenig genauer lesbar - und frisch frankiert nach Österreich auf den Weg ging. Vorsichtshalber schrieb ich meine Absenderadresse drauf, man kann ja nie wissen. Die Zieladresse notieren? Zu aufwändig! Also weg damit, ich hatte meine Pflicht getan.

Heute nun kam eine Dank-Antwort: "... wichtig für mein Leben ..."
Nur gut, dass ich die Postkarte tatsächlich weitergeleitet habe ...

Berlin, 22. 4.2003

Adios
Eine X-Geschichte

Wir trafen uns an der S-Bahn am 10. November 1989. Er wollte in eine Straße, die nicht ganz nahe liegt; ich wollte in den großen Trubel, der am Bildschirm vom Ku'damm zu sehen war. Mir sackte das Herz in die Hosentasche: In dieser begeisterungsvollen Zeit konnte ich ihn doch nicht alleine dorthin schicken. Wir kamen ins Gespräch. Er wollte in jener Straße einen Verwandten besuchen. Wie alt? Wesentlich älter als mein frischer Bekannter. Da ist es doch besser, einen Besuch dort vorher anzukündigen. Der Besuch fand nicht statt. Statt dessen gingen wir beide mitten in den Rummel und badeten in der begeisterten Menge. Bei einem Bier zum Abschluss tauschten wir die Adressen. Ich schrieb sehr bald, er verstaute die Adresse in einem Buch, das er gerade las. Jahre später holte er die Adresse wieder hervor und lud uns zu einem Abend zu sich nach Hause. Das Thema: Ein Hotelneubau, den er vorhatte. Er lud uns zur Grundsteinlegung, zum Richtfest und zur Eröffnung ein.

Schließlich, das Hotel lief bereits mehrere Monate, fragte er mich, ob ich ihm die Homepage für das Hotel mache, kostenlos, versteht sich. Natürlich konnte ich das nicht alleine. Meine Frau übernahm die Design-Fragen, ich goss das Ganze in HTML, das ich im Schnelldurchgang in 14 Tagen aus dem Buch lernte. Der Erfolg war zunächst sehr mies. 20 Hits pro Woche, der große Teil davon kam von Robotern. Aber es wurde besser; das hing natürlich auch daran, dass das Hotel bekannter und beliebter wurde.

Trotz aller Veränderungen, Verbesserungen und Bemühungen (längst hatte mich meine Frau bei den Kenntnissen der Scriptsprache eingeholt) blieb ein Manko: Wir waren und sind Web-Amateure. Und eins war klar: Nach einer Reihe von Jahren musste ein Relaunch her. Da nützt es nichts, dass dieses Hotel mit seinem spezifischen Kennwort bei vier wesentlichen Suchmaschinen an oberster Stelle rangiert, bei drei weiteren auf Platz drei, Crawler bietet nur Platz 5; insgesamt also ein sehr erfreulicher Web-Bekanntheitsgrad.

Ein Profi besorgt nun das neue Design. Aber uns fällt der Abschied von unserem Webdesign schwer. Ganz nebenbei stellt sich natürlich die Frage, ob es außer der Homepage keine anderen Beziehungsthemen zwischen uns gibt. Doch, ja, wir sind uns durchaus auch menschlich näher gekommen, in einigen Gesprächen klang eine sehr vertrauliche Nähe durch. Nur: Er ist ein viel beschäftigter Geschäftsmann, dessen häufigste Sprachregelung ist: Wir telefonieren noch!
Bezeichnend verlief ein Treffen zum Thema Homepage-Gestaltung bei uns. Wir hatten mit dem eigentlichen Thema noch gar nicht angefangen, da bekam er einen Anruf, der zur Folge hatte, dass unser Gesprächspartner schnell geschäftliche Dinge erledigen musste. Unseren Computer, das Faxgerät stellten wir gerne zur Verfügung, und es klappte auch alles in der gewünschten Zeit. Aber die eingeplante Zeit verging, ein weiterer Termin drängte, es kam nur noch noch ganz kurz und hektisch zum Gedankenaustausch über das 'eigentliche' Thema.
So sieht es im Augenblick eher danach aus, als müssten wir sagen: Adios!

Berlin, 27.11.2001

Flucht aus Ostpreußen, meine Geschichte

Vor kurzem strahlte das ZDF eine Sendung über die Flucht aus Ostpreußen aus. Hier ist meine Geschichte.
Sonderlich alt war ich damals nicht, aber ein paar Bilder habe ich noch von damals. Erst einmal sehe ich mich noch im schwarzen Mercedes über die Brücke der Alle fahren in Bartenstein (heute Bartoszyce, Polen), etwa 90 km nördlich von Allenstein (Olstin). Ein anderes Bild: Im Wohnzimmerschrank stand ein kleines Buch, in dem - unerhört - nackte Menschen abgebildet waren. Zumindest einmal holte meine Schwester dieses Buch hervor und wir schauten uns die Bilder an: Beeindruckend!
Später, es dürfte Oktober 1944 gewesen sein, sah ich die ersten Trecks tagelang auf der Straße, vielleicht 200 m von unserem Haus entfernt, entlangziehen. Meine Mutter klärte mich auf (damals oder später): Es waren Flüchtlinge, die vor den Russen flohen. Eines Tages stürmte ich - eine weitere Erinnerung - in unser Ess-/Wohnzimmer. Voller Entsetzen sah ich fremde Menschen darin, auf dem Sofa und sonstwo sitzend. Sie begegneten mir freundlich, es könnten zehn Fremde gewesen sein, Jüngere und Ältere. Ein Mann bot mir ein Stück Wurst an, eine freundliche Geste. Da erwachte ich aus meinem Schrecken, legte verlegen die Hände auf den Rücken und ging (lief) nach links hinten in das angrenzende Zimmer. Soweit dieses Bild.
Eines Tages saß meine Mutter auf dem Sofa und weinte bitterlich: Sie hatte unser Geschirr in drei Kisten verpackt und wollte sie per Bahn in den Westen transportieren lassen (wohin genau, weiß ich nicht). Sie waren aber nicht mehr angenommen worden, sondern wurden von der Spedition in den Keller gebracht, wo sie - so spätere Erzählungen - von russischen Soldaten (für uns waren es immer russische Soldaten, nie sowjetische) mit Äxten zerstört worden sind. Ich versuchte sie zu trösten, sie forderte mein kindliches Ehrenwort, niemandem davon zu erzählen, dass sie geweint hat. Jahrelang hielt ich mich an das Versprechen, bis alle Verfolgungsgefahren beseitigt waren und ich es nicht mehr als ehrenrührig ansah, dass eine Frau in dieser Situation weint.
Dieser Rückschlag änderte aber nichts an dem Entschluss meiner Mutter, mit uns beiden Kindern im Zug zu fliehen. Meine Schwester hatte mir noch mein Geburtsdatum eingeschärft: Allen war klar, dass Flucht auch Auseinanderreißen der Familie bedeuten kann. Das Datum des Aufbruchs blieb mir in Erinnerung: Es war der 26. Oktober 1944, etwa einen Monat vor der Flucht Hitlers aus der 'Wolfsschanze' (44 km östlich von Bartenstein). Es war schon etwas Besonderes für meine Mutter als Beamtenfrau gegen den Befehl des Gauleiters Koch, die Heimat zu verlassen. An die eigentliche Flucht, z.B. die Bahnfahrt, habe ich keine Erinnerung. Das letzte Bild war also die Szene mit der weinenden Mutter. Wie lange wir unterwegs waren, kann ich nicht mehr sagen. Wieso der Ort Werder, davon gibt es genug in Deutschland, in diesem Zusammenhang in meinem Kopfe herumschwirrte, konnte ich nicht klären. Auf jeden Fall landeten wir in der Försterei in Torno, einem kleinen Ort nicht weit von Teuplitz und Halbe entfernt. Nachdem wir Kinder dort sicher bei Freunden meiner Eltern untergebracht waren, fuhr meine Mutter, so erzählte sie später, nach Bartenstein zurück, um ihre Mutter zu holen. Diese lehnte es aber ab, mitzukommen. Sie ist wohl 1946 an Hungertyphus gestorben.
Mein Vater spielte bei den Fluchtvorbereitungen eine wesentliche Rolle. Er war als Major Chef einer Nachrichtenabteilung, die im Spätsommer bei Lorient in der Normandie gefangengenommen wurde. Er hatte immer wieder telefonische Verbindungen zu meiner Mutter und wies sie an, mit uns Kindern Ostpreußen zu verlassen. Die Begründung gegenüber den Behörden: 'Sie will nur ihre Kinder wegbringen.'
So war der Anfang der Flucht recht einfach und unkompliziert. Aber als Flüchtling unbeliebt zu sein, den Verlust der Heimat ständig in den Knochen zu spüren, bis zur 8. Klasse in 5 verschiedenen Orten zur Schule gegangen zu sein, illegale und legale Grenzübertritte mit aller Angst erlebt zu haben, gehört trotzdem zu den bleibenden Erinnerungen an die ersten Lebensjahre. Für meine Eltern endete die Flucht im Nordschwarzwald, wo mein Vater seine 10 letzten Dienstjahre noch als Richter an einem Amtsgericht absolvierte; meine Schwester ließ sich im ehemaligen Württemberg nieder, während ich seit einigen Jahren in Berlin lebe.
In der ZDF-Sendung wurde besonders auf den Untergang der 'Wilhelm Gustloff' eingegangen. Eine Bekannte (oder ferne Verwandte?) meiner Eltern, 'Putti' war auch auf der Gustloff. Als das Schiff untergegangen war, schwamm sie noch eine dreiviertel Stunde in der kalten Ostsee, bis sie gerettet wurde. (Ich lernte diese Putti nie kennen.)


Berlin, 4. 9.2001

Geburtstag September 2001

Vor 50 Jahren waren wir Freunde, enge Freunde. Er war mein 2. Lebensfreund, ich sein erster.
Jetzt feierte er seinen 60. Geburtstag. Wir verzichteten darauf, diesen Ort unseres Zusammentreffens noch einmal zu besichtigen. - Schließlich war er in diesen 60 Jahren an so vielen Orten, dass er sie unmöglich an einem Tag hätte besichtigen können. Die Verbindung zu ihm war - auch entfernungsbedingt - sehr lose geworden, aber nie ganz abgerissen. Ich folgte dem Rat von Reinhard Mey nicht, war töricht und tauchte tief in die Vergangenheit ein.
Wenn es gut geht auf solchen Feiern, trifft man Leute, die noch viel mehr aus der Vergangenheit zu berichten haben. Die Gegenwart: Gerade zurückgekehrt von einer langen, sehr eindrücklichen Reise in ein fernes Land - Vertiefen in Berichte aus schwierigen sozialen Verhältnissen.
Doch, auch die Erinnerung gehört zum wesentlichen Bestandteil des Lebens. Gerade deshalb, weil wir eine schöne Kindheit hatten. Klar: Es ist immer schwierig, erwachsen zu werden, aber uns wurde dieser Prozess leichter gemacht als vielen anderen. Wir waren nicht die ältesten Kinder dort, wenn wir aber zu dritt oder gar zu fünft durch den Park streiften, dann gehörte die Welt uns!! Z.B. "gehörten" uns auf jeden Fall die Eier (von Hühnern, Enten oder Gänsen), die wir fanden, uns "gehörten" viele Beeren und Früchte, die dort ausreichend wuchsen.


Berlin, 1. 7.2000

Schilf auf Hermannswerder

Das war ein Sommertag! Nach Kältetagen wieder ein milder, angenehmer Tag. Sommerfeste überall, entspannte Gesichter hier und dort.
Auf der Insel Hermannswerder - sie gehört zu Potsdam - führt der Weg am Tagungshaus 'Blue Art' vorbei, zwischen den Gebäuden mit High-Tec-Firmen hindurch und an einem Hotel vorbei zu einem kleinen Landschaftsschutzgebiet am Südende der Insel. Hier gehe ich gerne ein paar Meter spazieren, wie heute auch. Einige Wege sind zwar mit Flatterband vor solchen Leuten wie mich geschützt, aber hinten links, sozusagen, kann ich doch noch dicht fast bis ans Wasser gehen. Ein riesiges Brennesselfeld lädt nicht gerade ein, auch das Schilf nicht gerade, aber die Winden mit ihren weißen Trom- petenblüten, die im Garten nicht geduldet werden, sind schön anzusehen. Natur pur. Denn hier herrscht ein erbarmungsloser Überlebenskampf. Die Schilfpflanzen sind der Steigbügel für die Winden, die dazu beitragen, daß das Schilf über den Pfad gebeugt, geknickt wird, so daß der Zugang zum Wasser nur mit Gewalt und Zerstörung von Pfalnzen möglich wäre. Ende der Erkundung.
Stattdessen Erinnerung: Vielleicht sind es genau 50 Jahre her, als das Schilf schon mal eine wesentliche Rolle spielte. Eine Kuh hatte gekalbt, aber wo? Das ganze Rittergut war aufgeregt. Das Kalb mußte gefunden werden - falls es noch lebt. Also suchte jeder, dem die Tiere etwas bedeutete. Nicht wir Kinder, sondern die Kühe hatten Trampelpfade in das Reed gelegt. So konnte das Kalb auch dort irgendwo liegen.
Der Such-Eifer machte blind für Gefahren, und so bohrte sich ein abgebrochenes Schilfrohr in das linke Bein, etwas oberhalb vom Knie. Es tat entsprechend weh, die Suche war damit beendet (was aus dem Kalb wurde, überliefert die Erinnerung nicht). Da die ärztliche Versorgung dürftig war, ist auch heute noch die breite, kurze Narbe zu sehen - und bringt sich gerade bei solchen Schilfbegegnungen in Erinnerung.



Berlin, 25.11.2015
Das Finanzamt antwortet poetisch
Aus einer Zeitung ("Der Enztäler"?) aus dem Jahr 1957; die Gedichte von mir leicht geglättet:
Ein Steuerpflichtiger hat dem Tuttlinger Finanzamt mit seiner verspätet abgegebenen Steuererklärung, die ihm offenbar viel Kopfzerbrechen gemacht hat, das folgende Gedicht eingesandt.                                         Das Finanzamt antwortete poetisch:
Ich spreche deutsch seit 30 Jahren
- und bin jetzt 31 Jahre alt -,
doch vor Finanzamts-Formularen
macht meine ganze Bildung halt.

Da sitze ich wie die Chinesen
vor einem Hölderlin-Gedicht.
Die Worte zwar kann ich noch lesen,
doch ihren Sinn versteh ich nicht.

Ich laufe Amok durch Rubriken.
Aus "Ersterwerb" und "Sachbezug"
und "Nutzungswert aus Rasenstücken"
wird nur ein Schriftgelehrter klug.

Mir fährt der Schrecken in die Glieder.
Ich schreibe ringsum Zahlen hin
und staune selber immer wieder,
wie dämlich ich veranlagt bin.

Du hast Recht mit Deiner Klage:
Eine immer größ're Plage
wird jedes Steuerformular
in Wirklichkeit von Jahr zu Jahr.
Der Vordruck, in vergang'nen Zeiten,
bestand aus höchstens zwei, drei Seiten
und jedem Laien war es klar,
wie dieser auszufüllen war.

Grundlegend hat sich dies gewandelt,
seit 's Steuerrecht wird ausgehandelt
durchs Parlament mit Sachverstand
im Bund und jedem Bundesland.
Denn, wenn nach demokrat'schen Willen
man alle Wünsche zu erfüllen
versucht mit Rücksicht auf den Wähler,
gibts Wirrwarr für den Steuerzähler.

Kindstauf, Heirat, Krankheit, Tod,
Dürreschäden, Wassersnot,
Sparverträge, Neubaukosten,
Spenden, Spesen, Sonderposten,
Abschreibung und andre Sachen
willst du heute geltend machen,
daß Du bei Deiner Steuerlast
möglichst viele Vorteil' hast.

Dies die Ursach', ja die wahre,
daß die Steuerformulare
immer komplizierter werden
und das Dasein hier auf Erden
manchmal uns so schwierig machen.
Wirklich, es ist nicht zum Lachen
nicht für Dich und allesamt,
nicht für uns beim Steueramt.

Aber tröste Dich mit mir,
denn ganz offen sag' ich Dir:
Dem Finanzamt ist fürwahr
auch nicht immer alles klar.
Manchmal sagt 's Finanzgericht:
"Recht hat's Finanzamt diesmal nicht".
Und der Finanzhof oftmals spricht:
"Geirrt hat sich's Finanzgericht!"

Darum mach Dir heut' und morgen
keine allzu großen Sorgen:
Veranlagt wird hier nämlich
jeder, sei er noch so "dämlich".
Wir haben Deinen Spaß verstanden.
(Humor ist auch bei uns vorhanden.)
Und wir wollen hoffen, daß
auch Du verstehest undern Spaß.

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